ups – urban potentials salzburg

Sonderzone Heimat. Altstadt und moderner Städtebau

Gerhard Vinken

14. 12. 2006, 19.00 Uhr

Ort: S-Bahn-Infobox an der Salzach

Der Vortrag behandelt das für Salzburg zentrale Moment der verkehrstechnisch (Bahn, S-Bahn, Einfallsstrassen, Brücken,...) besonderten Stadtteile und wie diese um das Zentrum herum die Altstadt als solche erst produzieren. Der gewählte Ort, die neue und heftig umstrittene Info-Box an der Salzach, zeigt dies in seinen Sichtachsen: das Panoramafenster auf der Seite des Cafés rahmt die Altstadt zum Bild, während im Inneren die infrastrukturell verbesserte Zukunft gefeiert wird...

Prof. Dr. Gerhard Vinken
Professur für Architekturtheorie und Kunstgeschichte an der RWTH Aachen
Derzeitiges Forschungsprojekt: Ort und Bahn. Altstadt im modernen Städtebau

Im 19. Jahrhundert vollzieht sich die Wandlung der Stadtbaukunst zu einer "Stadtplanung", deren Motor nur mehr die vermessene, teilbare, wirtschaftlich nutzbare Bodenfläche ist. Die modernen Utopien entwerfen Stadt als einen homogenen, in Funktionszonen gegliederten Raum. Ihren konsequentesten Ausdruck findet diese funktionale Zonenstadt in Le Corbusiers bahnförmiger "Industriellen Bandstadt": Der euklidsche, von Vektoren aufgespannte Raum ist der Raum der Bahn. Die Bahn ist der Antagonismus zur Stadt schlechthin: Traditionell ist die Stadt Zentrum, ein Ort, der Raum erst aus sich heraus entwirft, auch als Lebensraum. Die Stadt als geordneter Funktionsraum im Banne der Bahn – und Stadt als ein Ort, der Kontinuität und Identität produziert und stabilisiert: In diesen gegensätzlichen Stadtbildern spiegeln sich gegensätzliche Raumbegriffe.

Das Projekt geht der Frage nach, inwieweit "Altstadt" ein Produkt des beschriebenen Raumkonflikts ist. Altstadt, so die These, entsteht als eine Sonderzone, räumlich als "ausgeschlossener Einschluss", dem jene Werte zugewiesen werden, die im zonierten Funktionsraum nicht mehr formulierbar sind, wie Erbe, Tradition, Charakter. Im Zentrum der Untersuchung stehen die Debatten der Nachkriegszeit um die Zukunft der europäischen Stadt und deren Wiederaufbau, wo neben dem Umbau zur durchgliederten, verkehrsgerechten Funktionsstadt unvermittelt der Wunsch nach einer Reformulierung von Identität und Kontinuität steht: von Stadt als Heimat.

Publikationen:
U. a.: Baustruktur und Heiligenkult. Romanische Sakralarchitektur in der Auvergne, Worms 1997; Dehio-Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Brandenburg, Berlin/München 2000; Die neuen Ränder der alten Stadt. Modernisierung und Altstadtkonstruktion im gründerzeitlichen Basel, in: V. M. Lampugnani und M. Noell (Hg.), Stadtformen. Die Architektur der Stadt zwischen Imagination und Konstruktion, Zürich 2005, S. 114–125; Gegenbild – Traditionsinsel – Sonderzone. Altstadt im modernen Städtebau, in: I. Scheurmann, H.-R. Meier (Hg.), Echt – alt – schön – wahr. ZeitSchichten der Denkmalpflege, Bd. 2 (erscheint 2006); Sonderzone Heimat, in: L. Schwarte (Hg.), Auszug aus dem Lager. Das Ende des modernen Raumparadigmas, Berlin (erscheint 2006).