Ausstellung

Wuthering Tales of Desires

Gruppenausstellung mit Amanda Burzić, Theresa Ulrike Cellnigg, Judith Gattermayr, Jonas Geise, HEATHERS (Veronika Hösch/Nora Jacobs/Nicole Sabella), Anna Hostek, Stefan Kreiger, Jakob Lechner, Anneliese Schrenk, Kiky Thomanek, Julia Zastava.

10. 05. - 26. 07. 2024

Freitag, 10.05.24
18.00 Eröffnung „Wuthering Tales of Desire“
18.30h Heathers’ Bloody Book Club - Performative Lesung und Präsentation der Publikationsreihe Heathers’ CUT CUT CUT #1-3

Die Performance will die antifeministischen Strukturen des Horrorfilms entlarven und den Blick für Neues öffnen. Nebendarsteller:innen wird eine Plattform gegeben, auf der sie als Hauptdarsteller:innen gefeiert werden. Mit humorvollen Einblicken in und Erkenntnissen aus dem Forschungsprozess zur feministischen Analyse von Horrorfilmen weiblicher* Regisseur:innen und der Thematisierung des Race-Bechdel-Wallacetests. Queer-feministische Allianzen (und der Tod) als Überlebensstrategien im Horrorfilm und im Kollektiv werden von HEATHERS während der Lesung markiert.

19.30h DJ Set by Eluciaen


WUTHERING THOUGHTS

Didi Neidhart

Wenn eine Gruppenausstellung mit dem Titel „Wuthering Tales of Desires“ ausgerichtet wird, stellt sich zunächst die Frage, worin denn die „desires“ bestehen, um welche Wünsche und Begehrlichkeiten es sich handelt. Aber viel mehr noch: Was hat es mit diesem „wuthering“ auf sich?

Bei den deutsch synchronisierten Verfilmungen von Emily Brontës weithin bekanntem Roman „Wuthering Heights“ (London 1847) sind die „Leidenschaften“ mal „stürmisch“ (GB 1992), mal „gefährlich“ (USA 2015), am reißerischsten gibt sich aber eine 1951 in Köln erschienene deutsche Ausgabe ihres Buches mit dem (fast) alles sagenden Titel „Catherine Linton: Liebe und Hass auf Wuthering Heights“.

Aber ist das wirklich so lachhaft trashy wie es klingt, so Bahnhofsbuchhandlung, so girly, so keine Literatur? Vielleicht liegt das Problem ja woanders? Besteht es in der immer wieder aufflammenden Debatte, ob Emily Brontë und ihre Autorinnenkollegin Mary Shelley („Frankenstein; or, The Modern Prometheus“, London 1818) ihre Romane überhaupt selber geschrieben haben (weil Frauen … you know)? Geschenkt. Viel wichtiger ist die Frage, warum z. B. die BBC 2021 einen längeren Artikel unter der Headline „Why we are living in 'Gothic times'“ publizierte. Ja wieso sind denn die „Sign[s] o’ the Time[s]“ (Prince) nun „gothic“? Wodurch ließe sich das belegen? Nun ja, ähnlich wie Brontës und Shelleys Dasein ist auch das bisherige 21. Jahrhundert geprägt von Unsicherheiten und Ängsten. Es ist eine „Time Out of Joint“ (wie es Shakespeares Hamlet formuliert), die Welt ist aus den Fugen geraten.

Von daher verstehen sich die Arbeiten, die bei „Wuthering Tales of Desires“ gezeigt werden, auch nicht als Reaktionen auf ein vorgegebenes Thema. Die Ausstellung ist vielmehr die Manifestation einer ohnehin omnipräsenten Schwingung. Das durchaus Diffuse des „wuthering“ deutet auf eine (Grund-)Stimmung hin, einen Sound, ein Grummeln im Hintergrund, um nicht gleich von Gefühlen/Emotionen zu reden. Womit die Ausstellung ja auch die blinden Flecken allzu elaborierter (diskursiv abgesicherter) Konzepte anspricht.

„THE NEW WOMEN“

Zudem wimmelt es hier von Verweisen auf die Gothic Fiction. In der klassischen Phase dieses Genres, das auch gerne „Schauerromantik“ genannt wird, zwischen den 1760er und 1820er Jahren, erschienen ca. 300 entsprechende Romane. Bemerkenswert ist, dass annähernd jeder zweite von einer Frau geschrieben wurde – es gab für die Literatur dieser Zeit also unerhört viele Autorinnen in dieser Rubrik. Das war nicht nur das Ergebnis eines Wandels des Frauenbildes, sondern für sich eine Herausforderung der tradierten Geschlechterordnung. Schon in Female Gothic manifestierte sich ein Denken ohne Grenzen und Tabus – der 200 Jahre später deklarierte „Gender Trouble“ (Judith Butler, New York 1990).

So gibt es bei „Dracula“ (Bram Stoker, London 1897) mit der Figur der Lucy Westenra eine junge, selbstbewusste Frau, die stark von der feministischen „New Woman“-Bewegung (die auch maßgeblich von den Suffragetten unterstützt und angetrieben wurde) beeinflusst ist, und die sich skandalöserweise fragt, wieso eine Frau nur einen Mann heiraten soll, wenn es doch auch mit mehreren ginge. Zugleich ist sie das archetypische Goth-Girl, das eindeutig zu viele Gothic Novels gelesen hat, gerne im Mondschein auf Friedhöfen herumwandert, dann aber auch gerade wegen ihres Fantums zum ersten Opfer von Dracula wird. Als ihr schlussendlich ein Pfahl durchs Herz gerammt wird, ist dies jedoch einer jener Momente, in denen während des Lesens spontan zum „Team Dracula“ gewechselt werden könnte.

Noch „emanzipierter“ wird die Hauptprotagonistin Mina dargestellt, als Gegenpol zu fast allen männlichen Helden, vor allem zu Van Helsing. Van Helsing gibt fortlaufend mit seinem Intellekt (als pure männliche Vernunft) an, aber er ist es auch, der die faktische Existenz Draculas von dessen Erwähnung in okkulten (!) Büchern ableitet. Anderseits ist er den technischen Errungenschaften seiner Zeit nicht abgeneigt: So spricht er viele seiner Berichte in einen damals hochmodernen Phonographen. Aber es ist Mina, die alles auf ihrer Schreibmaschine abtippt, mit der sie virtuos umgehen kann (fast allen Männern außer Schreibmaschinisten wie Nietzsche ist damals die Handschrift heilig), und die, falls der Phonograph mal nicht zur Hand ist, behände mitstenografiert. Zudem fügt sie das Mitgeschriebene und Abgetippte wie Puzzleteile durch logische (!) Schlussfolgerungen zusammen, während sich Van Helsing & Co. längst (und immer wieder) in ihren Spekulationen und Vorurteilen verlieren.

Von daher wäre der eigentlich subversive Akt bei „Dracula“ ein Bündnis zwischen dem (ebenfalls hochgebildeten) Vampir und Mina als „New Woman“.

Unter diesen Aspekten bedeutet Goth-Werden vor allem, eine Aussenseiter:innenposition einzunehmen; vielleicht eine der wenigen noch verbliebenen, nachdem selbst die Punks zu „Business Punks“ mutiert sind. Eine Serie wie „Wednesday“ (USA, seit 2022) kann ja auch als Patchwork von mehr oder minder randständigen Jugendkulturen (Glam, Punk, Blitz Kids, New Romantics, Emos) gedeutet werden, die nun als Wiedergängerinnen im Angebot sind, denen der Lauf der Dinge neues Leben eingehaucht hat. So steht Goth auch immer irgendwie deplatziert, dafür aber umso sturer in den Ruinen der Moderne/Postmoderne herum. Als dunkle Extravaganz in leeren Hallen, Ruinen, Leerständen, auf Wiesen sowie in Wäldern und düsteren Fantasy Landscapes. Was nach außen hin als Versunkenheit (Weltabgewandtheit) erscheinen mag, könnte genauso gut eine gewisse Art des „faulen Handelns“, ein beobachtender Blick im Sinne einer ganz genauen Rezeption der Welt (und ihrer Erscheinungen) sein.

FEMALE GOTHIC & POP

Für den britischen Poptheoretiker Mark Fisher ist Gothic im popkulturellen Kontext „[v]erlacht, vergessen“ und hält sich doch „unter der Oberfläche […] hartnäckig“. Hier überleben nicht nur die „letzten Reste des Glam“ (das reicht von Placebo über Måneskin bis hin zu The Last Dinner Party), Gothic ist vielmehr auch „jene Jugendkultur, die man am meisten mit Frauen und mit Literatur verbindet“. Das gilt auch für die Goth-Kids in der Serie „South Park“ (USA, seit 1997): Wenn sie nicht hinter dem Schulgebäude abhängen und zu Dark-Wave-Songs Zigaretten rauchen, lesen sie Poe; und vor allem Henrietta schreibt Gedichte, die sie in ihrem Kinderzimmer bei Kerzenschein vorliest. Fisher verweist dabei unter anderem auf das 1977 von der Literaturwissenschaftlerin Ellen Moers veröffentlichte Essay „Female Gothic“ (womit der Themenkomplex im Lande Academia angekommen war). Aber auch Pop kann ein weibliches Refugium sein. Spätestens seit Kate Bush, die ja nicht umsonst mit dem Song „Wuthering Heights“ ihre Karriere gestartet hat, Siouxsie Sioux und Björk stoßen wir immer wieder auf Künstlerinnen, die sich ganz bewusst und ungeachtet aller Missverständnisse und Kitschvorwürfe radikal via Goth-Anleihen dem „male gaze“ entziehen (ähnlich wie gewisse Arten von Musik immer schon als „Mädchenmusik“ gedisst worden sind). Auch die aktuellen Sounds & Visions des Baroque-Pop von The Last Dinner Party sind permanente Updates des Female Gothic (als wären die Musikerinnen direkt den Romanen von Jane Austen und den Texten der Brontë-Geschwister entsprungen, jedoch in der Riot Grrrls-Lesart und mit David Bowie als Ziggy Stardust im Hinterkopf).
Popkulturell pendelt Gothic sowieso immer zwischen untot und unsterblich (ganz abgesehen davon, dass Dracula & Co ohne Hollywood womöglich schon längst vergessen wären). Gerade seit den (postmodernen) 80ern gibt es laufend Neuauflagen, die allesamt aus den USA kommen. Das reicht von vampiristischen Teenagern und blutsaugenden Outlaw-Gangs bei „The Lost Boys“ und „Near Dark“ (beide 1987) bis hin zur Hinzunahme der Themen Drogensucht und AIDS bei „The Addiction“ (1995). Sehr wohl gab es auch hier eine Art Milleniums-Turn, wofür exemplarisch die „Twilight“-Saga (seit 2008) steht. Die Hauptprotagonistin Bella Swan, die „Wuthering Heights“ liest, stellt als Teen-Gothic einen durchaus neopuritanischen Gegenentwurf zu vorherigen Vampir-Updates (etwa jene von Anne Rice) dar. Wobei das Spektrum von hochpolitischen Serien wie „True Blood“ (2008–2014) bis zu Comedy-Formaten wie „What We Do In The Shadows“ (2014, Serie seit 2019) reicht. Hinzu kommen mit „The Chilling Adventures Of Sabrina“ (seit 2018) und „Wednesday“ dezitierte Neuinterpretationen eines ins 21. Jahrhundert verlegten Female Gothic, zu denen auch die gegen Ende hin immer düsterer werdende Harry-Potter-Welt gehört.

WUTHERING FRAGMENTS

Was Gothic Fiction in einer aus den Fugen geratenen Welt vielleicht als erste Kunstrichtung thematisiert, ist die Erkenntnis, dass wir unser Umfeld nur noch bruchstückhaft wahrnehmen können. Die Welt ist in Fragmente zerbrochen, multiple Perspektiven haben sich eröffnet, ringen um Hegemonie, verschieben Grenzen oder ebnen sie ein (z. B. jene zwischen den Künsten und dem „Populären“). Dementsprechend haben wir es bei „Wuthering Heights“, „Frankenstein“ und „Dracula“ mit Büchern zu tun, die als Ansammlungen von Briefen ganz unterschiedlicher Personen mit vielfältigen Anschauungen konzipiert sind. Wir lesen nicht nur die Schriften der Autor:innen, sondern auch das, was andere – fiktive Figuren – geschrieben bzw. gelesen haben. Und diese Erzählungen fiktiver Autor:innen basieren mitunter auch nur auf den Gerüchten, die sie sich zuflüstern, auf widersprüchlichen Aussagen zu ein und demselben Ereignis, auf fragwürdigen Quellen und ebensolchen moralischen Urteilen.

Diese fragmentierten Perspektiven verändern aber auch die Rezeption: Sie wird aktiver! Wem kann, darf ich da jetzt glauben? Wo stehe ich politisch, wie lautet mein eigenes moralisches Urteil? So kann beinahe jede Gothic Fiction als Fanfiction angesehen werden, als eine Art „everybody can do it“, bei der auch immer wieder (postmodern avant la lettre) auf andere literarische Werke verwiesen wird.

WUTHERING DIALECTICS

Wenn Adorno in der „Dialektik der Aufklärung“ (New York 1944) die gegenseitige Durchdringung und Bedingtheit von „Aufklärung“ und „Mythos“ diagnostiziert, dann weisen diese Überlegungen, angewandt auf die Gothic Fiction, Letztere als etwas Nichtbinäres, Fluides aus. Die Vernunft muss über sich selbst hinausblicken, um ihre eigenen irrational-faschistoiden und surrealen, die Wirklichkeit überschreitenden Elemente zu erkennen. Das gelingt in diesem Genre besonders gut, denn Gothic ist ein unbestimmtes bzw. nur schwer zu beschreibendes Gefüge widersprüchlicher emotionaler Ausnahmesituationen: Irgendwas ist falsch (am Platz), und angesichts dessen versagt die Sprache. Banale Phrasen sind in Bezug auf monströse Realitätsverzerrungen nicht etwa Anzeichen literarischer Beschränktheit, sondern sind ganz im Gegenteil die treffendste Option, das Unsagbare in Worte zu fassen.

Wie die Protagonist:innen der Gothic Fiction in unterirdischen Labyrinthen hin und her irren, so ist auch das ganze Genre selber immer wieder in Doublebinds gefangen. Wir haben es ja nur in den simpelsten Fällen mit The Beauty and The Beast zu tun – das ist der Stoff aus dem Märchen sind. Viel eher treffen wir auf The Beauty as The Beast und/oder The Beast as The Beauty. Dasselbe gilt für das Unheimliche/Angsteinflößende und das Wunderbare/Zauberhafte. Wobei das Unheimliche/Angsteinflößende als das Wunderbare/Zauberhafte (und umgekehrt) ja nicht allein durch die jeweiligen Storylines und Figurenzeichnungen hervorgebracht wird, sondern auch Effekt einer neuen Art der aktiven Rezeption sein kann.

Denn genauer betrachtet gebiert in der Gothic-Literatur anders als bei Goya weniger der Schlaf der Vernunft all das Ungeheure/Unheimliche, sondern es wird immer wieder auf das verwiesen, was gerade im Wachzustand übersehen wird. Es ist die Hybris des Rationalismus (die Annahme, alles be- und durchleuchten und damit auch disziplinieren und kontrollieren zu können), die die Aufklärung mit dem Monströsen als jenem Rest, der niemals aufgeht, konfrontiert. Es ist der Glaube an die pure Vernunft, die den Irrationalismus toxisch wüten lässt, uns als „Humankapital“ zurichten und alles „wuthering“ in Bahnen lenken will. „Wuthering Tales of Desires“ versteht sich in diesem Kontext als ein Gegenmodell im Sinne eines vielstimmigen Gefüges aus dissidenten Positionen reflexiver Fanfiction jenseits einer kleinkarierten Trennung zwischen High und Low Art.